Freie Presse Plauen / 29. September 1993
Durchbrochene Klischees
Gabi Heller und Hans Melzer zeigen Goethe als Türke
Gabi Heller und Hans Melzer schossen von Anfang an mit schwerem Geschütz. Sie verpackten die Anspielungen nicht in billiges Glanzpapier. Ohne künstliche Krücken, sondern künstlerisch konsequent entwickelten sie ein Programm von höchster Spannung im Plauener Vogtland-Theater. Besonders Gabi Heller teilte Weltbürgerschaft in der einzig global verständlichen Sprache mit, in der des Traumes, des Surrealen, der aus dem „kollektiven“ Unterbewußtsein hervorbrechenden Poesie. Ihre lyrischen Splitter verbanden Welt, schufen eine Ebene zur Kommunikation zwischen Völkern. Das Bildhafte ihrer Sprache gewährleistete die intuitive Verständlichkeit des Gesagten. Die erschaffenen Phantasiewelten glichen universell verständlichen Mythen der Menschheit. Zwischen den wechselnden Licht- und Musikstimmungen schilderten die beiden Münchner auch einmal derbe Realität und stellten bayerische, weißwurstige Weltsicht bloß. Sie entlarvten oft gehörte Kommentare zur Ausländerpolitik, rassistische Keiferei des Nachbars von nebenan als reine Scheinheiligkeit. „Sauerkrautverseuchter Kleingeist“ empörte sich in Szenen über die wachsende Zahl Farbiger im Land der „großen ordentlichen Bäume“, während dieselben Eiferer einen Ghettourlaub auf den Inseln eben jener Völker planten.
Die beiden Künstler preßten ihr Programm nicht in politische Einseitigkeiten, sondern präsentierten ihre Botschaften anhand menschlicher Charaktere. Minutiös legten sie Ursachen der verschiedenen Formen von Haß vor den Augen der Zuschauer bloß. Der Deutsche ist immer ordentlich und vergißt nie etwas. Er ist pünktlich, dafür kann ihn das Leben auch nicht aufhalten. Er überrennt die kleinen Freuden am Wegesrand, tritt auf Nahe-liegendes rücksichtslos und blind, „übergeht“ den Menschen auf seiner Hast zum Ziel. Mit ihren Texten drangen die beiden hinter Verkrustungen aus Angst und intellektueller Arroganz. Auch die kirchlichen Institutionen blieben im Programm nicht ungeschoren. Ein als Fluch gebeteter Vater-unser-im-Himmel-Text prangerte oft geübte Scheinheiligkeit und das gewohnheitsmäßige Abdelegieren der Verantwortung an imaginäre Instanzen an. In kecken Tönen warb das Duo für das, was ein Schlager als „Worldfeeling“ umschrieb. Gabi Heller und Hans Melzer boten Gefühlvolles zu einem heiklen, überstrapazierten Thema. Ihr feinfühliger Ton durchbrach dabei verbreitete Klischees und gegenstandslose Vorurteile.
(ag)